«Die Terminologie ‹biologisch› und ‹konventionell› finde ich komisch»

04. Dezember 2019


Die Gastronomie ist mitunter ein schnelllebiges Geschäft mit hoher Fluktuationsrate. So verwundert es nicht, dass Andreas Seiler nach seiner Lehre zum Koch im Hotel Mittenza in Muttenz BL Ende der 1980er zunächst einmal von Saisonstelle zu Saisonstelle tingelte. Es folgten die Hotelfachschule in Luzern, ein Managerposten in einem Fünf-Sterne-Hotel in Costa Rica, weitere Gastrojobs sowie die administrative Leitung des Migros-Fitnessparks Heuwaage in Basel. 2001 schliesslich gründete der heute 50-Jährige eine Familie und wurde sesshaft. Ohne jedoch stillzustehen. So übernahm Andreas Seiler im selben Jahr die Zügel bei der Gründung des «Bio Bistro», eines öko-sozialen Pionierprojekts im hippen Basler Quartierzentrum Gundeldinger Feld. 2006 wurde das Restaurant, das zum Bürgerspital Basel gehört, als erster Gastrobetrieb des Kantons mit der Knospe von Bio Suisse ausgezeichnet.
Andreas Seiler

Herr Seiler, bis 1999 war das Gundeldinger Feld in Basel Produktionsstandort der Maschinenfabrik Sulzer Burckhardt. Ab 2000 begann die Umnutzung des Areals zu einem Arbeits- und Freizeitzentrum. Das Bio Bistro selbst startete 2001. Wie war das damals?

Als wir anfingen, bestand unsere Küche aus zwei Campingkochern, die in einem Büro aufgestellt waren. Und während wir das Essen vorbereiteten, rollten im Gebäude nebenan noch die letzten Gaskompressoren vom Fliessband. Alles war in Bewegung. Unter diesen Bedingungen einen funktionierenden Gastrobetrieb aufzubauen, war kein Leichtes. Zumal es sich ja nicht um irgendeinen Gastrobetrieb handelte, sondern um ein Sozialprojekt.

Inwiefern?

Das Bio Bistro gehörte damals zur Stiftung Rheinleben. Sie begleitet und unterstützt Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmteren Leben. 2006 übernahm uns das Bürgerspital Basel, ein sozialmedizinisches Unternehmen, das Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung begleitet und beruflich integriert sowie Betagte betreut. Noch heute lautet unser Leistungsauftrag: das Betreiben eines Restaurants mit Fokus auf die Betreuung unserer Mitarbeitenden.

Was sind das für Angestellte?

Wir beschäftigen elf Menschen mit einer Beeinträchtigung oder Behinderung, die zusammen 600 Stellenprozent ausmachen. Hinzu kommen ein Zivildienstleistender, ein Praktikant und unser vierköpfiges Leitungsteam.


Das Bio Bistro ist also eine Art geschützte Werkstatt. Geht es denn darum, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den ersten, also regulären Arbeitsmarkt vorzubereiten?

Das ist unser Grundgedanke, aber die Umsetzung ist anspruchsvoll. Ich sage gerne: Der erste Arbeitsmarkt ist nicht in jedem Fall parat für diese Menschen. Daher bleiben die meisten sehr lange bei uns. Mit manchen arbeite ich schon seit 16, 17 Jahren zusammen. Die geringe Fluktuation ist super für den Arbeitsalltag. Wir sind ein eingespieltes Team. Die Motivation ist hoch. Es sind denn auch die Angestellten, die den Betrieb ausmachen und ihn tragen. Nicht die Leitung.

Apropos «tragen», trägt sich das Bio Bistro auch wirtschaftlich selbst?

Die ökonomische Nachhaltigkeit ist Teil unseres Drei-Säulen-Konzepts, nebst der sozialen und der ökologischen. Also ja, wir finanzieren uns zum grössten Teil selbst. Egal, ob Wareneinkauf oder Lohnzahlung, wir machen keine hohle Hand oder lassen uns quersubventionieren. Unsere Wirtschaftlichkeit hat vor allem mit unserer Menüplanung zu tun. Sie ist nachhaltig und durchdacht, sodass wir unseren Gästen Essen in Bio-Qualität zu einem günstigen Preis anbieten können. Man könnte meinen, dass das nicht aufgehen kann, weil Bio-Produkte teuer sind. Wir beweisen aber täglich das Gegenteil.


Anscheinend haben Sie ein Rezept gefunden, das aufgeht. Ihr Betrieb ist ja seit 2006 mit der Knospe von Bio Suisse ausgezeichnet. Das heisst, mindestens 70 Prozent aller eingesetzten Lebensmittel müssen bio sein, mindestens die Hälfte davon in Knospe-Qualität, beim Fleisch sogar 100 Prozent.

Wir haben seit Anfang an ein sehr simples Konzept. Es gibt jeden Tag zwei Menüs. Eines wird frisch zubereitet, das zweite besteht aus Resten vom Vortag. Daneben gibt es Salate, Suppen, Sandwiches, Gebäck. Wir kalkulieren alles so genau und eng wie möglich. Es kommt also vor, dass uns während der Mittagszeit etwas ausgeht und von der Menütafel gestrichen werden muss.

Haben die Gäste dafür Verständnis?

Die meisten, aber nicht alle. Unsere Gesellschaft ist es mittlerweile gewohnt, dass alles immer verfügbar ist. Ich persönlich verstehe aber nicht, warum es zum Beispiel im Laden bis sieben Uhr abends frisches Brot im Regal haben muss. Ein Teil davon wird nämlich dort liegen bleiben. Wir hingegen wollen in unserem Restaurant möglichst wenig Food Waste, also Lebensmittelverschwendung, generieren. Zudem kochen wir in der Regel vegetarisch, saisonal und vor allem mit Produkten aus der Region. Das spart Geld.

Teures Fleisch gibt es bei Ihnen ja nur einmal die Woche.

Genau, immer mittwochs.

Sie nennen es aber «Sonntagsbraten»-Menü.

Bei uns ist halt schon am Mittwoch Sonntag ... Nein, im Ernst, wir nennen es Sonntagsbraten, weil Fleisch früher ein Luxusprodukt war, dass man sich vielleicht nur einmal pro Woche leisten konnte. Wir möchten unsere Gäste etwas sensibilisieren und zu einem bewussteren Fleischkonsum animieren. Am Freitag gibt es zudem immer auch ein veganes Menü, aber das deklarieren wir nicht als vegan. Beziehungsweise nicht mehr.

Warum nicht?

Weil das bei einigen Gästen nicht gut angekommen ist. Sie hatten Vorbehalte und dachten: «Nein, warum müssen die jetzt auch noch … ?!» Wenn man es nun aber nicht auf die Tafel schreibt und die Leute danach fragt, wie das Menü geschmeckt hat, sagen sie, es sei fein gewesen ¬– und sind dann erstaunt, wenn man ihnen sagt, dass das Essen vegan war. Für mich als Koch ist veganes Kochen eine Bereicherung, keine Einschränkung. Auf bestimmte Dinge verzichten zu müssen, fördert nämlich die Kreativität. Zudem wollen wird nicht dogmatisch sein und mit dem erhobenen Zeigefinger kommen, sondern Wege aufzeigen, wie man es auch machen kann und was es bringt.

Darum auch Bio.

Genau. Wobei ich die Terminologie «biologisch» und «konventionell» schon komisch finde. «Konventionell» steht heute ja für das Normale, Übliche. Dabei wäre eigentlich «bio» beziehungsweise der Bio-Anbau das Normale, Übliche. Also das, was schon mein Grossvater bei sich im Garten gemacht hat. Dazu gehört auch der Kreislaufgedanke. Er hatte einen Kompost und darauf geschaut, dass die Komposterde wieder in seinem Kräuter- und Gemüsegarten landet. Wir machen das hier genauso. Auf dem Areal haben wir einen eigenen Garten. Es hat sogar Birnen-, Mispel-, Kirschen- und Feigenbäume, Beerensträucher und Blütenpflanzen. Allfällige Essensreste werden kompostiert und als organischer Dünger eingesetzt; zudem bestäuben unsere Bienen vom Dach die Pflanzen. Daher auch unser Leitsatz: von der Bestäubung über den Teller bis in den Kompost.

Sie haben Bienen auf dem Dach?

Ich habe 2009 bei mir zu Hause mit der Imkerei angefangen. Meine drei Bienenvölker habe ich dann 2012 hierhin gezügelt. Wir produzieren sogar unseren eigenen Stadthonig. Aber leider ist der nicht Knospe-zertifiziert, weil sich die Bienen nicht in einem Bio-Umfeld bewegen. Was etwas paradox ist, weil die Pestizidbelastung in der Stadt viel kleiner ist.

Sie haben vorher von Saisonalität und Regionalität gesprochen. Woher beziehen Sie eigentlich Ihre Bio- respektive Knospe-Produkte?

Ein Teil kommt vom Spittelhof in Biel-Benken. Der Betrieb gehört ebenfalls zum Bürgerspital Basel. Der Vorteil ist, dass wir uns mit dem Produzenten persönlich absprechen können. Er macht Vorschläge und wir bringen unsere Wünsche an, was er anbauen könnte. Da geht es um Ackerkulturen, Gemüse, Früchte, Beeren und Eier. Vom Hof Klosterfiechten, einem Vollzugszentrum auf dem Basler Bruderholz, beziehen wir Ackerprodukte. Und vom Luxenhof in Bärschwil Rind- und Schweinefleisch, Frischkäse, Quark, Jogurt und Mehl, mit dem wir unser eigenes Brot und auch Kuchen backen. Weitere Produkte beziehen wir vom Grosshändler Bio Partner: vor allem Schweizer, aber auch ausländische Bio-Produkte.

Was kommt denn aus dem Ausland?

Unser Bio-Kaffee kommt aus Peru. Geröstet wird er aber hier, in einer konventionellen Rösterei. Das deklarieren wir auch offen. Ingwer beziehen wir ebenfalls aus dem Ausland. Das Olivenöl stammt von griechischen Kleinbauern. Palmöl setzen wir keines ein. Zudem weichen wir gelegentlich im Winter oder in der Übergangszeit auch mal auf ein Produkt aus, das dann nicht in der Schweiz verfügbar ist. Etwa Bio-Broccoli aus Italien. Das hat vor allem damit zu tun, dass unsere Gäste spätestens ab März, April so langsam aber sicher Lust auf Frühlingsgemüse bekommen statt auf noch mehr Lauch, Randen, Kohl und Co.

Ihr Bio-Kaffee kommt also aus einer konventionellen Rösterei, sagen Sie. Ihr Stadthonig ist ebenfalls nicht Bio. Was noch?

Für unsere Glacen aus der kleinen Basler Glacemanufaktur Gasparini haben wir von Bio Suisse eine befristete Ausnahmebewilligung erhalten. Aber damit hat es sich dann schon mit konventionell.

Was wohl auch der mittlerweile viel höheren Verfügbarkeit von Bio-Produkten zu verdanken ist. Als das Bio Bistro 2001 aufgemacht hat, war das wohl noch anders.

Das stimmt. Am Anfang schauten wir einfach, dass wir so viele Bio-Produkte wie möglich bekommen konnten. Dafür hatten wir zunächst einen Partner in der Westschweiz. Später kam es auch vor, dass wir gewisse Knospe-Produkte im Coop nebenan kauften. Leider waren diese damals noch nicht konsequent auf dem Kassenzettel als Bio vermerkt. Als wir dann von der Zertifizierungsstelle Bio Inspecta kontrolliert wurden, konnten wir zunächst nicht einwandfrei nachweisen, dass wir da wirklich nur Knospe-Produkte eingekauft hatten. Zum Glück konnten wir das aber klären.



Und heute brummt das Geschäft.

Das ist so. Wir haben das Restaurant, zwei Transportvelos und einen Bauchladen für den mobilen Verkauf und den Lieferservice auf dem Areal. Als nächstes ist ein zweites Bio Bistro geplant. Mehr will ich dazu aber nicht sagen. Das ist noch nicht spruchreif.

BioBistro
Bürgerspital Basel

Interviews und Bilder: René Schulte, Bio Suisse/Bioaktuell

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