“Stell Dir vor Roger Federer würde sagen, er kauft nur Bio-Produkte”

14. Januar 2020


Sepp Sennhauser ist Präsident von Bio Ostschweiz, der regionalen Mitgliedorganisation des Dachverbandes Bio Suisse. Der Verein wirkt als Bindeglied zwischen den Biobäuerinnen und -Bauern der Kantone St. Gallen und Thurgau und Bio Suisse.

Der Vater von fünf Kindern führt mit seiner Familie einen Hof in Rossrüti bei Wil (SG). Auf 15ha betreibt er Milchviehwirtschaft, hält einige Schweine, macht Ackerbau und pflegt 220 Hochstammbäume. Seit 1996 produziert er unter der Knospe und auch dem Label von KAG Freiland, das für besonders hohe Anforderungen in der Tierhaltung steht und seit 2006 ist es ein Demeterbetrieb.

Im Gespräch über seinen Betrieb und auch seine Tätigkeit als CVP-Kantonsrat äussert er sich über die Anforderungen an die Bäuerinnen und Bauern allgemein, zeigt, wo er die Konsumenten in die Verantwortung ziehen möchte und wie sich das Ganze System auch auf seinem Hof widerspiegelt.

David Herrmann: Spätestens seit den Wahlen letzten Herbst steht die Landwirtschaft im Scheinwerferlicht. “Mehr Bio” - scheint der Tenor in Medien und Öffentlichkeit. Wie sehen Sie das?

Sepp Sennhauser: Wenn jetzt Stimmen laut werden, alle Bauern müssen auf Bio umstellen, sehe ich das durchaus kritisch. Klar haben konventionelle Betriebe Aufgaben, an denen sie arbeiten müssen. Aber grundsätzlich ist doch jeder Mensch mit seinem Betrieb auf seinem Weg. Wir müssen aufpassen, nicht nur in Schwarz-Weiss-Kategorien zu denken. Denn wie alles, hat auch die Spritzerei ihre Geschichte. Was früher erlaubt war, ist heute verboten. Und an allem sollen jetzt die Bauern schuld sein? Dabei haben sie doch nur angewendet, was erlaubt war.

Sie nehmen die Bauern also auch in Schutz?

Meine Nachbarn sind alles Bauern, die konventionell produzieren und einige davon meine Freunde. Das gibt mir auf gewisse Dinge einen anderen Fokus. Ich achte meine Kollegen und würde nie ein schlechtes Wort über sie verlieren. Und ich verstehe jeden, der sagt: Es ist nicht so einfach, auf Bio umzustellen. Da kommen dann neue Fragen, wie zum Beispiel: Wer nimmt meine Milch, wenn ich nicht mehr an die Käserei im Dorf liefern kann? Die machen dort einen super Job, aber halt nicht Bio.Das ist alles nicht so einfach und sollte nicht so dogmatisch betrachtet werden. Es ist alles ein langsamer Prozess. Das braucht gegenseitiges Verständnis und ein gesundes Mass an Respekt. Und auch Zeit. Wir sollten nichts überstürzen.

Aus welchem Grund haben Sie sich damals entschieden, auf Bio umzusteigen?

Bei mir war es damals schon recht ideologisch motiviert. Und klar: Auch der Stutz war mit der Zeit ein wichtiges Argument - und ist es ja auch heute noch. Wenn mir die 30 Rappen, die ich für meine Milch mehr bekomme, egal wären, könnte ich ja auch weiterhin in die Dorfkäserei liefern.

Und wie sehen Sie die Situation heute?

Wie hoch ist der Marktanteil von Bio? 10 Prozent? Das ist ja noch nichts! Wenn man die Zeitung liest oder auf Social Media unterwegs ist, sollte man doch meinen: Jetzt müssen alle Bio kaufen. Ich sehe aber, wie es wirklich läuft. Ein Beispiel: Für Biofarm mache ich Hirse. Und die sagen mir jetzt: Stopp. Die Lager sind voll. Für mich ist das zum Glück kein Problem, und ich weiss ja auch: Nachfrage und Angebot laufen nicht immer parallel. Vielleicht sind die Konsumenten einfach noch nicht soweit.

Wie meinen Sie das?

Viele verstehen nicht, was Bio wirklich heisst. Warum die Produkte zum Beispiel teurer sind. Dabei haben wir weniger Ertrag bei mehr Arbeit und grössere Ernteschwankungen. Das ist den Konsumenten gar nicht bewusst.

Was braucht es Ihrer Meinung nach, um das zu ändern?

In der Schweiz bezahlen die Konsumenten 6 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel. Beim Essen kann man am besten Sparen. Schauen Sie doch nur mal das Beispiel Milch: Im Laden gibt es eine riesige Auswahl. Und jede Milch ist weiss. Warum soll ich jetzt für eine Bio-Milch so viel mehr bezahlen?


Ist das ein Appell? Das ökologische Bewusstsein sollte nicht beim Portemonnaie aufhören?

(Lacht) Man weiss ja, dass es teilweise so ist. Wir geben nun mal prozentual viel weniger Geld aus für unser Essen, als anderswo in ärmeren Regionen der Welt. Dort sind sie den ganzen Tag damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass sie am Abend was zu essen haben. Ich bin ja schon froh, dass bei uns in der Schweiz der Budgetanteil für Lebensmittel trotz “Geiz-ist-Geil" Mentalität nicht noch weiter gesunken ist. Und diese Mentalität ist mittlerweile stark verbreitet, wobei zum Glück ein Gegentrend begonnen hat.

Braucht es hier Kostenwahrheit, um die Realitäten wiederherzustellen?

Das wird aber nicht einfach. Ich erinnere mich noch an früher, wie wir uns immer bemüht haben, Strom zu sparen, weil er so teuer war. Und heute: Alle lassen immer das Licht brennen, und auch ich lass den Computer oft laufen. Wenn ich wüsste, die Kilowattstunde kostet mich 10 Franken, würde ich doch sofort alles abschalten. Energie und Essen sind viel zu billig. Uns macht’s doch nur weh, wenn es teuer ist. Die Menschen müssen verstehen, dass alles zusammenhängt: Wer Bio-Fleisch isst, hat vielleicht für denselben Preis weniger auf dem Teller, dafür bessere Qualität und fast keine Folgeschäden in der Umwelt.

Sie meinen, man kann es den Menschen zumuten, beim eignen Kühlschrank anzufangen?

Wir müssen versuchen zu verstehen, warum die, die bereits ihr Konsumverhalten umgestellt haben, sich für diesen Schritt entschieden haben. Werbung und Kommunikation sind da auch wichtig. Menschen lassen sich davon gern beeinflussen. Stellen Sie sich mal vor: Roger Federer sagt, er kaufe nur Bio. Was würde dann wohl passieren?

Wie kann es denn gelingen, dass die Konsumenten und Produzenten sich wieder verstehen? Dass, wie Sie sagen, den Konsumentinnen bewusst wird: Tiere, Menschen und Boden arbeiten miteinander und das hat auch seinen Preis?

Das Wichtigste ist den Kontakt zwischen Konsument und Bauern zu erhalten, mit einer ehrlichen Auseinandersetzung um die unterschiedlichen Ansichten des Gegenüber zu verstehen. Dann kommen wir einander näher. Wir dürfen die natürlichen Ressourcen nicht verlöle oder verschwenden – das hat seinen Preis. Irgendwann werden wir den so oder so bezahlen. Spätestens, wenn der Staat mit unseren Steuergeldern die kaputte Umwelt reparieren muss. Dabei könnten wir das auch schon von Anfang an beim Produkt bezahlen.

Bio vertritt eine ganzheitliche Haltung. Glauben Sie, dass dadurch eine Veränderung einsetzen kann? Dass Bio also eine Antwort ist?

Als Präsident von Bio Ostschweiz sehe ich immer wieder Beispiele von Bauern, die umstellen, von denen ich es am Anfang nie für möglich gehalten hätte. Aber nach einigen Jahren verändert sich auch der Bauer selbst in seiner ganzen Haltung. Unter uns „Bios“ herrscht ein kollegiales Verhältnis und wird sehr offen Wissen ausgetauscht, dies bestätigt mir fast jeder Neu Umsteller. Wir müssen im Voraus vieles richtig machen, nachher ist es meistens nicht mehr möglich. Ohne künstliche Hilfsstoffe muss man viel Beobachten und eigene Erfahrungen einbeziehen, es gibt nicht für alles einen Berater. Das gibt ein gutes Gefühl und Bestätigung für unsere Wirtschaftsweise.

Ist Ihnen das auch so gegangen?

Ja. Und die Leute fragen mich: “Warum läuft es bei Dir so gut?” Ich sage dann: “Man muss halt auf einige Dinge schauen und ein Gefühl für die Dinge entwickeln.” Wir müssen unsere Sinne wiederbeleben, die wir zunehmend verloren und durch Technologien ersetzt haben. Im Stall spüre ich zum Beispiel schnell, wenn sich etwas verändert hat. “Öbbis isch nid guet” – denke ich mir dann. Ohne zu wissen was. Dabei muss ich mich ganz auf meine Sinne verlassen – nicht auf eine Kamera oder Handydaten. Neulich hatte zum Beispiel ein Kalb Durchfall. Zuerst habe ich nichts gemerkt. Aber dann dachte ich: Hä? Ich ging dann zum Melken und hab hinterher genauer hingesehen. Da habe ich es bemerkt. Er hat Durchfall. Wahrscheinlich aus Kummer, weil ich gestern das andere Kalb, mit dem er zusammen im Stall war, weggegeben habe. Das alles realisiere ich aber nur wegen meiner offenen Sinne. Ein anderer hätte vielleicht schon den Tierarzt gerufen.

Das Interview mit Sepp Sennhauser, Präsident Bio Ostschweiz, führte David Herrmann.
Teilen