Heisses Bad und kühles Lager – so bleiben Äpfel lange frisch

07. Februar 2020


Kaufen Sie jeweils frische Äpfel in der Kartonschale beim Grossverteiler oder lose auf dem Markt? Oder lagern Sie gar selbst im Herbst einige Kisten ein? Dann kommen Sie doch jetzt mit auf einen Betriebsbesuch in die Thurgauer Gemeinde Egnach – oder nach Mostindien, wie diejenigen gerne spötteln, die vermutlich leicht eifersüchtig auf den schönen Bodensee und die prächtigen Thurgauer Obstanlagen schauen.

In Egnach nämlich liegen gerade jetzt knapp 1’000 Tonnen Bio-Äpfel in einem der modernsten Obstlager Europas. Und diese Hallen vollbringen ein kleines Wunder: Hier lagern Äpfel so, dass sie auch zehn Monate nach der Ernte noch knackig, saftig und faltenfrei in die Regale der Grossverteiler kommen.

Wie das kleine Wunder geschieht, erklärt uns Andreas Brüllhardt. Er ist bei der Tobi Seeobst AG,
welche das moderne Obstlager in Egnach betreibt, zuständig fürs Bioobst. «Zuerst tauchen wir Bio-Äpfel kurz ins 52,5 Grad Celsius heisse Wasser.» Das warme Bad hemme Pilze, die zu Lagerschäden führen könnten. Es ist in der Biobranche die Alternative zum Pestizid, das sonst vor der Ernte noch auf den Apfel gespritzt wird. Nach dem warmen Wasserbad kommen die Äpfel ins Kühllager. «Entscheidend ist, dass wir den Apfel möglichst schnell und schonend in den Winterschlaf bringen», erklärt Andreas Brüllhardt weiter. Das geschieht in erster Linie durch Abkühlen auf 1 bis 2 Grad Celsius. Bei dieser Temperatur sind die Zellen der Früchte zwar immer noch intakt, aber ihr Stoffwechsel findet praktisch nicht mehr statt, sie atmen kaum mehr und der Reifeprozess wird unterbrochen. «Aber kühlen ist noch nicht alles», erfahren wir vom Bioobstfachmann. «Es braucht einen möglichst hohen Feuchtigkeits- und einen optimal tiefen Sauerstoff- und leicht erhöhten Kohlendioxyd-Gehalt in der Luft.» Auch das bringt den Apfel noch näher an seinen Dornröschenschlaf.

«Und zu guter Letzt ist der Apfel eine intelligente Frucht», führt Andreas Brüllhardt aus. «Im Gegensatz etwa zum Steinobst können Äpfel ihre Reifung quasi selbst steuern, indem sie Ethylen produzieren. Dieses Pflanzenhormon scheiden Äpfel auch bei tiefen Temperaturen aus und treiben damit den Reifeprozess zusätzlich voran.» Also muss auch das Ethylen möglichst raus aus der Lagerluft. Apfellager mit einer solchen künstlich gesteuerten Atmosphäre sind schon einige Jahrzehnte unter dem Begriff CA-Lager bekannt.



In Egnach ist die Lagertechnik aber noch einen grossen Schritt weiterentwickelt. In den Lagerzellen lesen hochsensible Messinstrumente, in welchem Reifezustand die Äpfel sich gerade befinden. Anhand dieser Informationen stellen Kohlefilteranlagen und Feuchtigkeitsregler die idealen Parameter für jede Lagerzellen einzeln ein: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sauerstoff-, Kohlendioxyd- und Ethylen-Gehalt. Und dies notabene ohne Zugabe von künstlichen Gasen, also vollständig biokonform. In der Fachsprache nennt man dieses System: dynamisch kontrollierte Atmosphäre (DCA-Lagerung). Das System hat gleich mehrere Vorteile: Erstens halten die Äpfel noch einmal länger und bleiben deutlich knackiger. Zweitens senkt die moderne Technik auf erstaunliche Weise auch den Energieverbrauch der Anlage: Denn je weniger die Äpfel atmen, desto weniger Wärme setzen sie selbst frei und desto weniger Energie braucht das Lager zum Kühlen. «Im neuen Lager konnten wir dank noch besser isolierten Kühlzellen und der DCA-Lagerung den Energiebedarf im Vergleich zu den herkömmlichen Lagermethoden um bis 20 Prozent senken», erklärt Andreas Brüllhardt.

Die Lagertechnik sei übrigens so effektiv, dass es im Herbst manchmal schwierig sei, die alte von der neuen Ernte von blossem Auge zu unterscheiden. Aber wie steht es denn um die Ökobilanz von so gelagerten Äpfeln im Vergleich zu saisonalen Importen von der Südhalbkugel? «Den grössten Energiebedarf haben wir bei Lagerbeginn, wenn wir die Äpfel runter kühlen», weiss der Thurgauer Obstfachmann. «Und auch Äpfel aus frischer Ernte von der Südhalbkugel werden gekühlt transportiert.» Der hauptsächliche Energieaufwand ist also bei jeder Herkunft derselbe.

Und apropos Herkunft: Der Name Mostindien ist nicht etwa ein simpler Zusammenzug von Most (also Apfel- oder Birnensaft) und Indien. Er taucht 1853 im Satiremagazin Postheiri erstmals auf, und ist eine Verschmelzung von «Most» mit dem damals gebräuchlichen geographischen Begriff «Ostindien». So bezeichnete man eine Grossregion in Asien, die weit über den indischen Subkontinent hinausgeht.

Text und Bild: Stephan Jaun

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