Adrian
Schlageter, viele Konsumenten verstehen nicht, wieso Küken überhaupt getötet
werden. Was sind die Hintergründe?
Das Kükentöten ist ein weltweites Problem. Der
Ursprung hängt mit dem Züchtungsfortschritt und den Leistungsrassen zusammen:
Man hat entweder Masthühner für die Fleischproduktion oder Legehennen für die
Eierproduktion. Also Legehybride oder Masthybride, beide Tiere haben
unterschiedliche Merkmale und Ausprägungen, sie sind auf die Produktion und Leistung
ihres Gebiets spezialisiert.
Die Masttiere setzen
rasch viel Fleisch an, dabei werden männliche und weibliche Tiere genutzt. Bei
der Eierproduktion ist es anders: Sie setzen nicht so viel Fleisch an, dafür
legen sie sehr viele Eier. Ein weibliches Tier legt über 300 Eier pro Jahr. Die
männlichen Tiere hingegen können weder Eier legen noch Fleisch ansetzen. Für die
Landwirte ist es unwirtschaftlich, die männlichen Tiere aufzuziehen. Deshalb
werden die männlichen Küken gleich nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet. Die
Wirtschaftlichkeit und Öko-Effizienz haben leider zur Praxis des Kükentötens
geführt.
Ein Ziel von Bio Suisse ist es, im Bereich
Tierwohl eine Vorreiterrolle einzunehmen. Was ist die Haltung von Bio Suisse
zum Kükentöten?
Es stimmt, das Töten der männlichen Küken
entspricht nicht der Wertschätzung der Tiere, die wir uns wünschen. Deshalb sind
wir als Bio-Verband der Schweiz mit Hochdruck daran, an dieser Situation etwas zu
ändern. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Lösungen zu finden. Ich arbeite seit
November 2020 in einer neu geschaffenen Stelle an genau diesem Projekt. Wir
möchten ganz konkret unseren Delegierten im Herbst 2021 einen Ausstiegsplan aus
dem Kükentöten vorlegen.
Adrian Schlageter, Projektleiter Tierwohl |
Wie kann das Kükentöten in der Eierproduktion verhindert
werden? Welche Ansätze verfolgt der Ausstiegsplan von Bio Suisse?
Es gibt
generell zwei Richtungen, um das Kükentöten zu vermeiden: Bereits geschlüpfte
Küken sollen aufgezogen werden, oder man verhindert das Schlüpfen von
männlichen Küken komplett. Dazu ist ein sogenanntes In-Ovo-Verfahren notwendig.
Dabei wird im Ei eine Früherkennung des Geschlechts vorgenommen. Es wird intensiv
an diversen Verfahren geforscht. Diese reichen beispielsweise von Endokrinologie,
also der Unterscheidung zw. männlichen und weiblichen Hühnerembryonen mittels
Messung der Geschlechtshormone, über Spektroskopie, also z.B. der Messung
geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Federpigmentierung bis hin zu
gentechnischen Methoden. Die bislang verfügbaren Technologien setzen zu einem
Zeitpunkt der Embryonalentwicklung an, wo Schmerzempfinden gemäss
wissenschaftlichen Erkenntnissen bereits möglich ist. Da haben wir also
letztlich ein ähnlich gelagertes Problem wie beim Töten der Küken kurz nach dem
Schlüpfen.
Als Bio-Verband stehen wir bei diesen Verfahren
somit vor grossen Herausforderungen: Unsere Bio-Richtlinien schliessen momentan
eine Geschlechtsbestimmung im Ei aus. Die Knospe baut zudem auf einem wichtigen
Selbstverständnis – und zwar dem einer gentechfreien Produktion. Daher gehen
unsere Ansätze klar in Richtung Bruderhahnaufzucht oder Zweitnutzungshuhn.
Bei der Bruderhahnaufzucht werden die männlichen Küken der leistungsstarken Legehennen aufgezogen. Diese Aufzucht ist, wie erwähnt, ressourcenintensiv und muss über die Eier quersubventioniert werden. Eine grosse Herausforderung stellt zudem die Entwicklung und Positionierung von Produkten aus Bruderhahn-Fleisch dar. Das Fleisch von Bruderhähnen unterscheidet sich von Pouletfleisch in Bezug auf Textur und Geschmack. Ziel muss es sein, Produkte aus Bruderhahn-Fleisch als Premium zu positionieren. Ein gesicherter Absatz ist zentral, damit Bio-Landwirte in eine Bruderhahnaufzucht einsteigen. Ein Beispiel kann die Gemeinschaftsgastronomie sein. Ein positives Beispiel ist das Kantonsspital Graubünden. Wir streben aber auch Lösungen mit dem Detailhandel an.
Wenn man als Konsument
oder Konsumentin das «Küken töten» schon heute nicht mehr in Kauf nehmen will,
was für Alternativen sind auf dem Markt?
Es gibt bereits
Initiativen aus der Branche, beispielsweise das Zweinutzungshuhn von Coop oder
das Label “Hahn im Glück”, welches die Demeter-Eier auszeichnet. Oder dann die «Respeggt»-Eier der Migros, welche auf
dem zuvor beschriebenen hormonellen Selektionsverfahren im Ei basieren.
Letztere sind allerdings keine Bio-Eier. Generell kann man sich erkunden, ob
auch im Direktverkauf Eier aus Bruderhahnaufzucht erhältlich sind. Dies sind
momentan leider nur eine Handvoll Bio-Betriebe in der Schweiz.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? Wie soll der
Anteil der Bruderhahnaufzucht in der Bio-Branche gesteigert werden?
Eine gute
Vernetzung innerhalb der Branche ist für meine Arbeit zentral. Dazu intensiviere
ich den Austausch mit allen wichtigen Akteuren. Das Thema Wissensbildung ist
wichtig, ich leiste verbandsintern viel Kommunikationsarbeit. Wir brauchen und
fordern das Kommittment von allen Akteuren der Branche. Die Basis sind unsere Bio-Produzenten,
insbesondere die Bio-Eier- und Mastbetriebe müssen in diesen Prozess
miteinbezogen werden. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, zu informieren und Feedback
aus entsprechenden Gremien und Fachgruppen abzuholen. Ziel ist eine gute
Abstützung in der Basis.
Zudem finden derzeit Gespräche mit Detailhändlern zur Aufnahme und Positionierung von Bruderhahn-Produkten statt. Wir wollen konkrete Lösungen mit allen Akteuren der Branche erarbeiten, dafür sind zwei grosse Workshops geplant. Wir sehen die unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette an.
Was ist Ihre Vision für die nächsten drei bis
fünf Jahre?
Bis
dahin gibt es unter der Knospe ganz klar kein Kükentöten mehr. Wir wollen dem
Tier den Wert beimessen, den es aus ethischer Sicht haben soll. Das
Küken hat es nicht verdient, direkt wieder zu sterben.
Mein Ansatz lautet: So schnell, aber auch so nachhaltig wie möglich. Der Ausstieg aus dem Kükentöten soll ambitioniert, aber auch realistisch sein. Mein Wunsch ist es, den Fokus stärker auf die Chancen zu richten als auf die Probleme.
Adrian Schlageter hat an der Universität Basel in Biologie promoviert. Danach war er während einiger Jahre in der Forschung tätig, bevor er dann während rund sieben Jahren bei Coop zunächst als Brandmanager für Nachhaltigkeitslabels, als Leiter von nachhaltigen Beschaffungsprojekten und zuletzt als Produktmanager für Eier und Milchprodukte tätig war. Im April 2020 ist Adrian Schlageter als Produktmanager für Eier, Geflügel und Fisch bei Bio Suisse eingestiegen, wo er wichtige Kontakte zu den Fachgruppen knüpfen konnte. Seit Oktober 2020 ist er Projektleiter Tierwohl in der neuen Abteilung «Strategische Projekte und Forschung» bei Bio Suisse.
Bilder: Michael Anfang via unsplash, Archiv Bio Suisse, Depositphotos
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