Glück und Präzision sind die Wegmarken von Mathilde Roux

31. Mai 2020


Die Cave de l’Orlaya in Fully (VS) gehört zu jenen Orten, die man nie wieder vergisst, wenn man einmal den Fuss über die Schwelle gesetzt hat. Das zwei Meter hohe Beton-Ei und der verglaste Weinkeller, in dem die Fässer auf ihren Auftritt zu warten scheinen, verleihen dem safrangelben Gemäuer einen modernen Touch. Gleichzeitig lädt die lange Bar zur Weinverkostung und zu einem Gespräch mit der Winzerin ein.

Der Weinkeller ist schlicht, transparent und effizient – ein Abbild seiner Besitzerin. Fünf Jahre ist es nun her, dass Mathilde Roux das Gut in Fully übernommen und ihm den neuen Namen «Cave de l’Orlaya» gegeben hat. Hier verwirklicht sie sich ihren Traum aus Kindertagen und lebt von ihrer Leidenschaft für den Wein: Rund zwanzig verschiedene Weine keltert sie aus ihrer acht Hektar grossen Rebfläche an den Granithängen.

Der Wein entwickelt sich in Beton
Die Winzertochter ist im französischen Gigondas in der Weinregion Côtes du Rhône geboren und kam mit elf Jahren in die Schweiz. Nach einem Bachelor in Biotechnologie an der EPFL und einem Master in Weinbau legte sie an der südfranzösischen Universität Montpellier ihr Önologiediplom ab. Anschliessend erkundete Mathilde Roux Weinbaugebiete auf der ganzen Welt, verfeinerte ihre Kenntnisse und kultivierte zugleich ihre Werte und ihren Stil, bevor sie sich 2015 in Fully niederliess. «Ich habe mich richtiggehend in das Terroir von Fully und das Walliser Klima verliebt, es erinnert mich ein wenig an jenes meiner Kindheit ...»

Lebendiger Boden und Ouessantschafe.

Der erste Jahrgang von Mathilde Roux im Jahr 2016 trägt eindeutig ihre Handschrift. «Als ich kam, waren die Weinberge von jeglichem Unkraut befreit, und der Wein wurde innerhalb eines Jahres abgefüllt. Das entsprach ganz und gar nicht meiner Denkweise.» Ab 2016 verzichtete sie auf Unkrautvernichter, ab 2017 auf alle übrigen synthetischen Hilfsmittel, und 2019 stiess sie die Umstellung auf biologischen Anbau an. «Jetzt bin ich im Einklang mit meinen Werten. Und ich merke, dass die Zertifizierung gegenüber meinen Kunden ein Vorteil ist. Die Konsumenten werden immer wissbegieriger und möchten mehr über unsere Arbeitsmethoden im Weinberg erfahren.»

Seit ihren Anfängen auf Orlaya nagte die Idee an ihr, das Weingut auf Bio umzustellen: «Ich betrachte den Weinberg als eigenständiges Ökosystem. Er braucht einen vitalen Boden und eine Umwelt, in der eine hohe Biodiversität besteht, mit einer Vielfalt an Pflanzen und Insekten. Meine Arbeit besteht darin, diese Umwelt zu respektieren und dafür zu sorgen, dass die Rebstöcke von ihr profitieren.» Neben einer reduzierten Bodenbearbeitung setzt Mathilde auf eine «nützliche» Begrünung: «Anstatt gegen die Pflanzen anzukämpfen – teilweise vergebliche Liebesmüh –, habe ich eine Mischung einheimischer Gewächse in den Rebstockreihen gepflanzt. Und im Winter pflegen Ouessantschafe meine Parzellen.»

Feine Speisen, feine Weine

Parallel zur konsequent auf Natürlichkeit getrimmten Bewirtschaftung der Rebflächen – auf drei Hektar testet die Winzerin den biodynamischen Anbau – setzt Mathilde Roux seit ihrer Ankunft in Fully zudem auf einen längeren Ausbau (18 Monate im Fall der Rotweine) in unterschiedlichen Behältern. «Durch die Poren im Holz und im Beton kann sich die Struktur der Weine entwickeln und schlussendlich reifen», erläutert die Wahl-Walliserin, die im Übrigen für ihre Rotweine die natürliche Vinifikation praktiziert und bei ihren weissen Rebsorten vor dem Pressen auf das Maischen der Trauben verzichtet, damit sich die Aromen besser entfalten können.



Wenngleich die Hälfte ihres Kundenstamms aus Privatleuten besteht, so konnte die junge Frau in den letzten Jahren doch ihre Präsenz in der Spitzengastronomie ausweiten. Man findet sie bei De Courten in Siders, bei Denis Martin in Vevey oder auch im Restaurant Anne-Sophie Pic im Beau-Rivage Palace in Lausanne: Die kraftvolle Komplexität ihres Petite Arvine wusste ebenso zu überzeugen wie die elegante Struktur ihres Gamay Vieilles Vignes.

Mehr Infos: orlaya.ch

Text und Fotos: Claire Muller

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